Ein Unternehmer hatte vorbereitende Erdbauarbeiten auf Grundlage eines VOB-Bauvertrags auszuführen. Für diese Leistungen fordert er Restwerklohn vom Besteller. Der Ausschreibung lag u.a. ein Baugrundgutachten zu Grunde, welches im Hinblick auf Kontaminationen und den sich daraus ergebenden Mehraufwand unklar war. Der Bauvertrag enthielt zum Lösen und Entsorgen von Bodenbelastungen keine Regelungen. Der Unternehmer fordert unter Berufung auf unvorhergesehene Bodenbelastungen eine Mehrvergütung.
Er hat in der Berufungsinstanz Erfolg. In erster Instanz war ihm dieser Anspruch versagt worden mit dem Hinweis darauf, ein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B (2012) scheitere daran, dass der Unternehmer etwaige Unsicherheiten im Blick auf kontaminationsbedingten Mehraufwand durch Nachfragen vor Angebotsabgabe hätte beseitigen können. Das Berufungsgericht indes weist auf die in Abschnitt 0.1.20 DIN 18299 (2012) normierte Pflicht des Bestellers hin, zu Schadstoffbelastungen Angaben zu machen. Dies sei nicht geschehen, weshalb das Leistungsverzeichnis dahin auszulegen sei, dass die Abfuhr und Entsorgung nicht von vorneherein geschuldet gewesen sei. Im auftraggeberseitigen Leistungsverlangen sei sodann die Anordnung zu sehen, die eine Vergütungspflicht § 2 Abs. 5 VOB/B nach sich ziehe.
Wenn wie im vorliegenden Fall wegen unklarer Angaben in Vertrag und LV mehrere Auslegungen möglich sind und der Auftraggeber eine Vergabe nach VOB/A durchführte, wird der Besteller an eine „vergaberechtskonforme Auslegung“ gebunden sein. Danach ist unter mehreren möglichen Auslegungsvarianten derjenigen der Vorzug zu geben, bei der sich der Auftraggeber vergaberechtskonform verhalten hätte. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht den zusätzlichen Vergütungsanspruch des Unternehmers festgestellt.
Da es sich um eine Einzelfallentscheidung im Bereich der „vergaberechtskonformen Auslegung“ handelt, ist sie zur Verallgemeinerung der sich aus ihr ergebenden Ausführungen ungeeignet. Eine generelle Zuweisung des Risikos von Unklarheiten im Baugrundgutachten zu Lasten des Auftraggebers ergibt sich daraus nicht.
(OLG Frankfurt, Urteil vom 21.09.2020 – 29 U 171/19)
Dr. Thomas Gutwin
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht